[2004-07-16] 
 

llebensllauf


Die Verfettung der linken Brust wurde erst sichtbar, als sie in Eigröße aus ihrem Auge hervortrat.
Sie hätten viel früher kommen müssen, sagte man ihr.
Aber sie hatte doch gar nicht kommen wollen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie nicht kommen wollen, aber immer müssen, und es liefen ihr kleine Kinderscharen hinterher, denen sie die Nippel und die Eier abtreten wollte, aber nicht konnte. Wie konnte eine, die nicht kommen konnte, überhaupt etwas können?
Nein, sie war nicht gekommen. Unerbitterlich.
Ihre Worte vagabundierten durch echolose Jahre. Ziellos. Manchmal flossen sie. Sie flossen aus ihrem Kopf an ihrem Mund vorbei und versickerten im Sand. Die Tropfen-Abdrücke waren noch eine Weile zu sehen, aber niemand außer ihr selbst nahm sie wahr. Ein Schimmer nur, oder eine kleine Umrandung, oder ein Grau, wo ein leichtes Braun erwartet würde, das waren ihre verschwundenen Worte, nicht mehr und nicht weniger.
Wenn sie nickte und sich von ihren Worten verabschiedete, trauerte sich ihr Gesicht ein, unsichtbar. Sie bedeckte es mit ihren langen Haaren, die sie  als Schal im mehrfachen Kreuz  um ihren Kopf winden konnte. Wenn sie den Schal wieder zur Seite schob, erschien erneut  ein Blick ihrer ewigen Unschuld. Nein, sie hatte nicht kommen wollen. Und sie würde es auch nicht tun.
Sie nahm das Ei aus ihrem Auge und schlug es am Topfrand auf. Blutrot schaute es sie an und fragte: Warum bist du nicht gekommen?
Sie schüttelte den Kopf. Ich habe auf dich gewartet, sagte sie. Mein Leben lang habe ich auf dich gewartet.