[2004-07-26] 
 

Versauf dir lieber den Verstand als die Leber


Um sechs Uhr sechs schreckte der Pfarrer auf. Er setzte sich in seinem Bett auf und bekreuzigte sich. Herr, ich habe gesündigt, flüsterte er, damit ihn die Haushälterin nicht hören sollte. In der Tat fühlte er sich wie ein ertappter Junge, der sich vor Strafe fürchtete. Die Haushälterin konnte furios fluchen und führte sich gerne wie ein cholerischer Feldmarschall auf, dessen Kommando über Feld, Wald und Wiesen erschallte, so dass sogar die Bäume in ihren Wipfeln zitterten und sich nach Schutz sehnten. Längst hatte der Pfarrer diese Krawallfuchtel als eine der sieben Plagen Gottes akzeptiert. Selbstgeißelung und körperliche Eigenzüchtigung waren ja von der Kirchenleitung leider seit langem verboten worden. Also nahm der Pfarrer die Haushälterin als Pfuhl für seine Sünden.
Er bekreuzigte sich noch einmal und sprang aus dem Bett. Er sah etwas derangiert aus, und seine Haare entsprachen dem Durcheinander in seinem Kopf. Was war geschehen? Er sah an sich herab. Gibt es etwas Unwürdigeres als einen Würdenträger im Nachthemd? Das hatte er gestern Abend nach diversen Schoppen des Weins gedacht, den ihm ein gläubiges Schaf überbracht hatte,  und sich des flattrigen Gewands entledigt, als er, leicht schwankend, in sein Bett gestiegen war. Nun aber, noch immer leicht beduselt, genierte er sich. Ein nackter Mann in seinem Schlafzimmer! Dennoch wagte er einen zweiten Blick und merkte, dass ein gewisses stolzes Wohlgefallen sich warm von seinen unteren Lendenwirbeln nach oben in seinen Kopf ergoss. In dem Augenblick, als er sich dessen wieder auf sein Bett zurück. Ob es wohl Sünde war, dass er jeden Abend so viel soff? In der Bibel standen keine genauen Anweisungen dafür, bewusst wurde, fiel er schuldbewusst und es war ja auch von Wein und Brot die Rede, nicht etwa von Wasser und Brot. Ein kleines Teufelchen klingelte an seiner Gedankentür und erbat Einlass. Trotzig sah der Pfarrer durch die Klappe und wollte die Versuchung davon jagen, aber Zecken lassen sich nicht so einfach abschütteln. Der Pfarrer hatte keine Erfahrung mit Zecken, weshalb er das schwarze kleine Krabbelding nicht erkennen konnte. Das war sein Fehler. Die Haushälterin hätte es gewusst, aber die zu fragen wagte er nicht. Ihr Geschrei war ihm zuwider.
Er arrangierte sich deshalb unvorsichtigerweise mit der Zecke und ließ sie herein. So, Ihr Lieben, jetzt wisst Ihr, wie es weitergeht. Der Pfarrer muss aufpassen, dass er nicht erwischt wird, und der liebe Gott hat einen weiteren Sünder, der ihm die Lust am Menschen-Regieren vergällt. Wo kommen wir denn hin, wenn auf Erden jeder macht, was er will?!