[2007-03-22] 
 

Meine Schönheit für dich


Schau, da laden sie die Leiche aus. Sie sieht nicht schön aus. Sie ist nicht geschminkt, doch wiedernoch haben ihre Augen jenen Schlafzimmerblick, den du ihr antrainiert hast wie einem kleinen Hund. Es erregte dich, wenn sie dich auf diese Weise anschaute, und sie tat es immer und immer wieder, weil du es so wolltest.
Ein wenig unförmig ist sie geworden, seit du sie ermordet hast. Das gefällt dir gar nicht, denn du achtest auf Figur und Gewicht. Ein Modell sollte sie sein, dein Modell. Geformt, modelliert und zur Perfektion gebracht von dir, ihrem Schöpfer.
Ihre Haare stehen ungewaschen vom Kopf. Wundert es dich? Sie kam aus dem ersten Nachtschlaf, als du sie überfallen hast, um deinen Schwanz in sie hineinzurammen, obwohl sie es –schlaftrunken- nicht wollte und sich wehrte. Zum ersten Mal wehrte sie sich. Lass dir Zeit, hättest du sagen sollen. Lass dir Zeit für die Schönheit. Aber du konntest ja nicht warten.
Ihr rechter Arm liegt abgewinkelt neben ihr. Du kannst nicht genau sehen, ob er vielleicht noch mit ein paar Fasern am Körper klebt, aber du weißt, dass diese unschöne Verrenkung von dem Griff kommt, mit dem du ihr das Telefon aus der Hand gerissen hast, als sie die Polizei anrufen wollte. Eine Puppe mit abgerissenem Arm. So darf eine Puppe nicht aussehen.
Schon gar nicht deine Puppe.
Dein Blick ist starr auf das Stück Fleisch gerichtet, das von ihr übrig geblieben ist und das sie nun in einen Sarg verladen. Du hättest nicht zustechen sollen. Die Wunden an ihrem Körper sind hässlich braunrot verklebt und geben ihrer einstmals zarten Haut etwas Schmutziges, Abstoßendes. Das kann dir nicht gefallen, denn du bist ein unbeugsamer Ästhet, wenn es um den weiblichen Körper geht. Perfektion. Das war es, was du wolltest.
Von drüben weht ein leicht fauliger Gestank herüber. Zum ersten Mal durchzuckt eine Bewegung dein Gesicht. Vielleicht erinnerst du dich an die Frische und den milden Geruch, der sie wehend umgab, wenn sie sich vor dir drehte und lachte. Es würgt dich. Der Ekel vor dem Niedergang der Schönheit schüttelt dich.
Du möchtest nicht darüber nachdenken. Ich weiß. Du möchtest weglaufen. Vor dir. Vor ihr. Vor mir.

Aber du erinnerst dich. Du erinnerst dich an mich. An den Anfang. Und an all die Jahre dazwischen. Du hast nicht gefragt und mich einfach genommen.
Ich war das Schaf, du der Wolf. Ich wusste, du würdest mich töten. Und ich habe still gehalten. All die Jahre habe ich gehofft, dass es passiert. Jetzt bin ich das Opfer, dem Mitleid entgegengebracht wird als Altargabe. Tränen werden an meinem Grab vergossen. Es sind meine Tränen aus all den Jahren.
Mit meinem Tod wurdest du zum Handlanger meiner Rache. Du bist Täter. Wie schön für mich. Wie wenig schön für dich.
Du wirst deinen Schönheitsbegriff noch einmal überdenken müssen. Er wird von nun an verknüpft sein mit meiner schmutzigen Leiche, mit dem Gestank und der aufgedunsenen Form, die dein Werk war, wie sie einst meine Schönheit war.
Meine letzte Schönheit für dich, mein Lieber. Ich schenke sie dir im Tod.
Keine neue Schönheit für dich. Kein weiteres Schaf, das du reißen kannst. Ich ruhe sanft.

Eine Leiche für dich.
Ein Leichnam für mich.
Ein totes Gefühl für dich.
Ein kaltes Gefühl für mich.