[2005-11-13] 
 

Ruhe in Frieden


Es muss sehr schön sein, mit so einer Frau befeuchtet zu sein, wollte ich sagen, aber es kam nur ein Röcheln aus meinem Mund, denn ich hatte jenes Messer in der Brust, das eben noch als Brotmesser auf dem Küchentisch gelegen hatte, wo ich gerade das Kastenbrot aufschneiden wollte, das der Bäcker seit Neuestem im Angebot hatte und zurzeit zu einem Einführungspreis verkaufte, der so unschlagbar niedrig war, dass eigentlich kein Kunde dem Erwerb eines solchen Brotes widerstehen konnte, denn was ist in unseren Zeiten noch so billig wie in der Nachkriegszeit, als die Leute froh waren um alles Essbare, das sie ergattern konnten, indem sie von der Stadt aufs Land zogen, um dort mit den Bauern um Mehl und Eier und Gemüse zu feilschen, oftmals ihr letztes Hab und Gut dafür einsetzend, um den quälenden Hunger zu stillen, den wir heutzutage glücklicherweise nur noch aus Erzählungen kennen, nicht zuletzt, weil es solche wohlmeinenden Bäcker gibt wie jenen, der dieses Kastenbrot erfunden hat und zu einem solch sagenhaften Preis anbot, dass natürlich auch ich wie unter Zwang zugreifen musste, wobei ich allerdings nicht bedachte, dass dieses Brot ein besonders scharfes Messer brauchen würde, denn es war hart wie Holz, was der Bäcker als besonders gut für die Gesundheit deklarierte, und die Gesundheit war mir bis dato immer ein hohes Gut, für das ich bereit war, einen erklecklichen Teil meines eher schmalen Gehalts zu opfern, denn ich wusste ja, dass dies eine Investition in die Zukunft war, die ich mir allerdings etwas rosiger vorzustellen pflegte als mit einem Messer in der Brust in der Küche zu liegen, wo ich mich in merkwürdigem  Zwiespalt zwischen einem kalten Küchenboden und einem warmen Blutstrudel, der sich über meine Brust ergoss, nicht recht entscheiden konnte, welche dieser Empfindungen eigentlich angenehmer war, sondern in meiner üblichen zögerlichen  Art und Weise mal wieder schwankte und darauf wartete, dass mir jemand sagen würde, was besser für mich sei, eine Unart, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte, die sich durch meine ganze Vita zog, welche durch diese zauderlichen Nicht-Entscheidungen geprägt war, die das Leben lasch machen und flach wie die Kurve auf dem Exitus-Monitor im Operationssaal, wo die Linie jedoch wenigstens zuvor noch beachtliche Auf-und Ab-Bewegungen anzeigt, was man von meinem Lebenslauf nun wirklich nicht sagen konnte, und was mich bis vor kurzem gar nicht gestört hatte, bis mich meine Nachbarin eines Tages so komisch anlächelte, dass mir mit einem Male ganz schwummrig wurde und meine Kurve plötzlich einige Hüpfer vollführte, die ich erst als unangenehm empfand, denn es entstand eine gewisse Unruhe in meinem Körper, der auf solche Sensationen, wie die Mediziner zu sagen pflegen, gar nicht vorbereitet war und zunächst mit heftigen Abwehrreaktionen versuchte, in seinem altgewohnten Zustand zu verbleiben, sich dann aber zunehmend nicht mehr gegen sich selbst und mich wehren konnte, und sich schließlich in sein Schicksal ergab, was er besser nicht getan hätte, denn Schicksale bringen meist Unglück und kein Glück, auch wenn das in den Hochglanz-Gazetten immer wieder gerne beschworen wird, wo die Reichen und die Schönen immerzu über die seligen Pfade des ewigen Herzhüpfens wandeln, bis auch sie der Tod ereilt, was dann aber meist nicht mehr auf goldenen Blättern steht, sondern auf dem billigen Zeitungspapier, wo demnächst vielleicht auch meine Todesanzeige gedruckt sein wird, von der ich allerdings nicht weiß, wer sie aufgeben soll, denn meine Mutter weilt selbst schon im Reich der für-immer-Vergessenen und meine Nachbarin wird, darauf möchte ich wetten, keinen Cent für eine solche Anzeige ausgeben, geschweige denn mir ein Blümchen aufs Grab legen, sondern sich wahrscheinlich nur wundern, wie ein gestandener Mann zu blöd zum Brotschneiden sein kann und das Messer, über die eigenen Füße stolpernd, statt in den Laib in den Leib rammt und nun auf dem Fußboden seine letzten feuchten Träume ausröchelt...