[2005-02-07] 
 

Mein Karl



Die Vormittags-Zeitung lag vor mir. Der Nachmittagszug lag hinter mir. Der schwere Typ lag auf mir. Und über mir schienen abwechselnd die Sonne und der Mond. Was für eine Ausgangssituation für einen Krimi.
Lieber Karl, ich hätte dir gewünscht, dass du viele Kinder kriegst, die dich beschäftigen, damit du dich nicht mit dir beschäftigen musst. Aber nun ist es anders gekommen, und du verschmurgelst in den heißen Temperaturen der Savanne. Mach bitte nicht mich verantwortlich für deinen Tod. Ich habe nur zugeguckt und mich gewundert, wie blödsinnig sicher du durch dein Leben gelaufen bist. Hattest du denn kein Schamgefühl?
Na ja. Ich wünsche dir jedenfalls eine gute Reise.
Damals. Das war ein Szenario. Ein bisschen schräg, ein bisschen schrill, aber anständig bis in die Knochen. Damals. Da haben wir die Bäume auf die Berge gesetzt und Walzer getrunken statt zu tanzen. Karl. Nun zerfieselt es dich, obwohl du gedacht hast, deine Zellen seien unantastbar.
Weißt du, die Zeitung von heute ist auch nicht anders als die, die wir zusammen gelesen haben. Die Buchstaben sind schwarz, und der Inhalt ist so verlogen wie die krumme Visage unseres Nachbarn. Du erinnerst dich. Der Typ mit dem verschwollenen Blick, hinter dem die blanke Dummheit saß. Aber wir haben immer weg geguckt, wenn er vorbei ging.
Und nun. Mein Karl. Ist nicht schön so, in der Hitze, oder? Du hast gemeint, dass die heißen Temperaturen dir nicht schaden würden, als du gegangen bist. Ich glaube, es war ein Irrtum. Aber ich kann dich ja nicht mehr fragen.
Wenn ich eine Gießkanne hätte, würde ich dich benetzen, aber das Wasser ist rationiert, und sie würden mich einsperren, wenn sie mich erwischen.  
     Der Nachmittagszug war fast leer gewesen. Die Stimmen in der Luft waren vermuffelt. Sie schubberten sich an meinem Hals und wollten mich lecken. Ich fand aber nur, dass es nach kalten Zigaretten stank. Der dicke Typ mir gegenüber hat mir mit seiner Zigarre ins Gesicht gegrinst.
Karl. Der Kerl. Er hat die Zigarre genommen und mir die Pistole ins Gesicht gesteckt und mich gepieselt und gepickt. Dann ist es geschehen.
Die vielen Kinder schwirren nun unter der heißen Lampe im ärmlichen Zimmer. Du bist die Luft, die wir atmen, aber das hast du nicht gewollt.
Keine Sorge, mein Karl. Ich verrate dich nicht.